Es fucked mich ab. Seitdem ich in meinem Umfeld von meiner Schwangerschaft erzählt hatte, begleitet mich ein Satz fortlaufend. Ein einziger Satz, der an mir zu kleben scheint, den ich nicht loswerde, den ich ständig und immer wieder bei jedem Kinderthema zu hören bekomme. DU MUSST DAS ABER. Ja, genau der. Dieser eine Satz verfolgt mich, er hat sich mir eingebrannt und provoziert in meinem Kopf Gedanken zwischen Aggression und Resignation. Ich kann diesen Satz nicht mehr ertragen. Er regt mich auf. Als Mutter muss man nämlich permanent irgendwas tun. Und damit ich das nicht vergesse, sorgen andere besorgte Mütter oder sonstige Besserwisser mit diesem einen nervigen Satz immer wieder dafür, dass ich nicht vergesse, etwas zu MÜSSEN.
Mein Kind wird nächstes Jahr eingeschult. Schon jetzt wird mir erzählt, was ich da alles tun muss. Er kann noch nicht seinen Namen schreiben? Was?! Dann musst du es mit ihm üben! Das muss er doch können bei Schulbeginn. Komisch, dachte ich stillschweigend. Ich war nämlich davon ausgegangen, die Schule ist dafür da, dass Kinder dort schreiben lernen. Auch ihren Namen. War jedenfalls zu meiner Zeit so. Bin ich naiv? Weltfremd? Dumm? Woher wissen die anderen immer, was mein Kind können muss und was ich tun muss?
Ich weiß nicht, warum wir heute supermegakrasse kleine Genies großziehen müssen, die mit fünf Jahren den Stift richtig halten sollen und ihren Namen vorwärts und rückwärts schreiben müssen, die bis mindestens zwanzig zählen können, besser aber noch gleich bis hundert, die schon erste Sätze schreiben können, in Präsens und Präteritum natürlich, die bereits erste englische Wörter sprechen (eine Zweitsprache ist soooo wichtig!), die am besten schon Spiele für 7jährige spielen und Puzzles mit zweihundert Teilen allein zusammen puzzeln? Und warum wir Mütter dauerhaft dazu beitragen müssen, dass sie das auch ja alles tun. Warum?
Seit der Schwangerschaft befinde ich mich gefühlt in einem Wettlauf mit anderen Mamas. Es geht ständig darum, dass ich etwas tun muss, weil es sich so gehört und weil es alle sagen und genauso machen und weil es eben richtig so ist. Aber wo steht das alles, woher wissen diese schlauen Menschen es so genau? Haben sie eine Quelle, die mir unbekannt ist? Warum wissen sie immer mehr als ich? Vielleicht sind sie in einem geheimen Bund kluger Mütter, die solche besonderen Informationen in die Welt streuen dürfen. Damit unwissende Mütter wie ich das Richtige tun und regelmäßig daran erinnert werden, was sie alles tun müssen.
Ich übertreibe nicht. Nein, ganz und gar nicht. Als mein Kind noch lang nicht auf der Welt war, hieß es: Du musst die erste Zeit Folsäure nehmen, unbedingt. Du musst dich gesund ernähren, iss bloß nichts Falsches. Du musst dir eine Hebamme suchen, schon wegen des Bauchnabels, der dann abfällt. Diese Muss-Sätze hörten nicht auf. Lange Zeit ließ ich die Schwangerschaft einfach geschehen und genoss das Gefühl des wachsenden Lebens in mir. Aber scheinbar ist das nicht genug. Ständig gab und gibt es jemanden, der weiß, was ich tun muss. Was, du hast noch keine Baby-Erstausstattung gekauft? Du musst einen Wickeltisch kaufen, einen Kinderwagen und ein Maxi Cosi. Du musst die Wohnung kindersicher machen. Du musst ein Beistellbett besorgen und einen Stillstuhl, nimm noch ein Stillkissen dazu. Du musst aufhören, Sport zu machen, das schadet dem Kind. Du musst auf jeden Fall gegen Ende ganz viel Ingwer-Tee trinken. Stopp, dachte ich, ich mache, was ich will.
Aber das Müssen ging weiter. Du musst ein gutes Kinderbett kaufen, zum Umbauen für später. Du musst die beste Matratze kaufen, sonst kriegt dein Kind Rückenprobleme. Du musst stillen, wenigstens die ersten Wochen, sonst hat dein Kind keinen Schutz, du musst Lieder vorsingen, du musst Kümmelsalbe auf den Bauch schmieren, wenn dein Kind ständig weint, du musst dein Kind warm genug anziehen und es oft barfuß laufen lassen, du musst in den Urlaub zum Strand fahren, das lieben alle Kinder. Du musst ihm sein Lieblingsspielzeug wegnehmen, wenn dein Kind frech ist. Du musst den Kopf des Kindes am Anfang ständig halten. Sonst passiert was? Fällt er dann ab? Genug und Halt!
Genug mit dem Scheiß. Mir hängt die ganze Du-musst-das-aber-sonst-Kacke zum Hals raus. ICH MUSS NÄMLICH GAR NICHTS. Zumindest nichts, dessen Sinn ich nicht erkennen kann, dessen Mehrwert mir abgeht, das mir vollkommen überflüssig vorkommt und nicht meiner Vorstellung als Mensch entspricht. Ich will mein Kind nicht zu einem Meisterschüler erziehen, ich will es auch nicht nach Schema F behandeln. Ich will einfach mein kleines geliebtes Einzelkind auf seinem Weg ins Leben begleiten. Mehr nicht. Sicherlich muss ich gewisse Dinge dafür tun. Ich muss mein Kind ernähren, einkleiden, beschützen. Ja, bis zu einem gewissen Grad muss ich als Mutter auch funktionieren. Ich gebe allen Muss-Müttern da recht. Aber darf ich bitte so funktionieren, wie ich es will?
Das ganze Leben ist manchmal ein einziges Müssen. Aber niemals in meinem Leben musste ich so viel müssen wie als Mutter. Es ist ein unheimlicher, manchmal ein unerträglich schwerer Druck, der auf Müttern lastet. Wir sollen unsere Kinder nicht nur ernähren und versorgen, wir sollen sie nicht zur großziehen und begleiten, wir sollen am besten ALLES rund um die Uhr beachten, was Institutionen, Experten oder andere vorbildliche Eltern empfehlen. Isst dein Kind genug Gemüse? Putzt du ihm auch gründlich genug die Zähne? Kaufst du nicht zu viel Spielzeug? Kann sich dein Kind schon allein anziehen? Hilft dein Kind im Haushalt? Sagt dein Kind auch immer brav „danke“? Schläft dein Kind durch? Ist dein Kind schon sauber oder trägt es noch immer eine Windel? Spricht dein Kind schon ordentlich und wenn nicht, wieso? Gehst du mit deinem Kind auch zur Logopädie, wenn es noch kein „sch“ sprechen kann, zum Osteopathen, wenn der Kopf immer nur rechts liegt und zum Orthopäden, wenn die Füße schief stehen? Achtest du darauf, dass dein Kind genug trinkt und regelmäßig mit anderen Kindern schön spielt, ohne Pistolen? Schickst du dein Kind zum Kindersport, machst du mit ihm Hausaufgaben, unternimmst du genug mit ihm, lernst du mit ihm, spielst du oft genug mit ihm? What the fuck!!!
Mein Appell an alle Mütter lautet: Hört auf, anderen Müttern zu predigen, was sie alles müssen. Hört auf, so übergriffig zu sein. Hört auf, Angst zu verbreiten, nur weil ihr sie selbst nicht ertragt. Seid tolerant und offen für jedes Mutterherz. Urteilt nicht, wenn andere es anders machen. Ich gebe meinem Kind Süßigkeiten. Weil ich selbst Süßigkeiten liebe. Na und? Trotzdem achte ich auf eine gute Zahnhygiene und auf gesunde Ernährung. Das eine schließt das andere nicht aus. Hört auf, mit dem Kopf zu schütteln, wenn manche Mütter Kekse statt Karotten verteilen. Ihr müsst nicht missionieren. Das ist nicht eure Aufgabe. Ich schenke meinem Kind mehr als gewöhnlich zum Osterfest und zu Weihnachten und ja, auch zwischendurch. Weil ich es gern so mache und trotzdem Werte wie Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft und Großzügigkeit vermittle. Ich wünsche mir, dass keine Mutter mehr mit dem Kopf schüttelt, wenn ich ihr von meiner Einstellung erzähle. Es ist verletzend, wenn Mütter das tun.
Die Frage, warum Mütter eigentlich immer müssen, kennt nur eine Antwort: Sie müssen eben nicht müssen. Jede Mutter ist anders, wie jedes Kind anders ist. Bewahren wir uns ein bisschen Individualität und nehmen wir etwas den Druck raus aus unserer Mutterrolle. Chill mal, Mama. Und jetzt? Muss ich meinen Kaffee trinken. Und fertig aus.
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