
Also, nie freue ich mich mehr auf den Alltag wie nach Weihnachten und Silvester. Mehr als zwei Wochen Dauerkinderbespaßung haben mich, wie so oft, an meine Grenzen gebracht. Ich bin müde vom Plätzchen backen, Geschenke kaufen, Weihnachtsmanngeschichten erzählen und vom familiären Miteinander an sieben Tagen die Woche. Ich habe die Vorweihnachtszeit in vollen Zügen genossen und ich habe kein schlechtes Gewissen, wenn ich mich auf meine Arbeit, meine Routine, meine Zeit für mich freue.
Schön war der erste Morgen nach gefühlt einer Ewigkeit von Festlichkeiten und Feiertagen, als ich mein Kind in den Kindergarten bringen und mich endlich auf etwas anderes einlassen konnte als Spielen, Spielen und Spielen. Ich möchte meinen ausgelaugten Geist füttern und wieder ein Stück mehr Ich sein dürfen. Und wieder frage ich mich, wie Frauen es schaffen, nur Mutter und Hausfrau zu sein? Ist ihnen das wirklich genug? Lieben sie es wirklich so sehr, wie sie es mir oder anderen vermitteln wollen? Bin ich denn so anders als sie oder sehnen sie sich genauso wie ich nach mehr Zeit für Frauenbelange? Echte Frauenbelange. Keine Mütterbelange.
Bevor ich irgendwie tiefer in meine Gedanken einsteigen kann und mich so richtig an den Alltagskram gewöhne, ist eine Woche vergangen und mein Kind das erste Mal im neuen Jahr krank. Inzwischen begegne ich nächtlichen Fieberattacken relativ gelassen. Nach fünf Jahren voller Infekte und Kinderkrankheiten hört man auf, sich verrückt zu machen. Eine schlaflose Nacht ist gar nichts. Kinder können wahnsinnig schnell von einem Moment auf den anderen fiebern. Na und. Augen zu und durch. Spätestens nach ein paar wenigen Tagen ist es vorbei. Denke ich auch diesmal. Meistens bin ich dann krank, sobald mein Kind genesen ist. Und auch das geht nach zwei oder drei Tagen vorbei. Glaube ich. Pustekuchen.
Diesmal hält das Fieber bei meinem Kleinen an. Nach zwei Tagen hängt er immer noch auf der Couch ab und quält sich von Schlafphase zu Schlafphase. Ohne was zu essen. Das kleine Gesicht ist blass und ohne das für mich schönste Lachen der Welt. Ich fahre also zum Kinderarzt. Yippie, um eine volle Kinderarztpraxis mit weinenden Babys und ungeduldigen Eltern komme ich auch im neuen Jahr nicht drumherum. Die Diagnose ist schnell gestellt: Mandelentzündung. Wahrscheinlich bakteriell sogar. Antibiotika werden empfohlen. Ah ja, wie jedes Jahr. Und täglich grüßt. Bravo! Nun ist er größer als letztes Jahr und braucht eine größere Ration. Der erste Versuch geht gleich mal daneben, der Saft landet frisch vom Rachen auf dem Boden. Geduldig erkläre ich, dass er das nun mit Spritze in den Mund eingeflößt bekommt und drin behalten muss. Das ganze Prozedere also eine Woche lang. Es klappt nur mit Schokolade als Belohnung, die wir eigentlich nach den ganzen Weihnachtssüßigkeiten mal eine Weile von unserem Speiseplan weglassen wollten. Nun gut. Solange es dem Zwecke dienlich ist, denke ich zähneknirschend. Hauptsache, das Kind wird wieder gesund.
Nach einer Woche endlich tritt die langersehnte Besserung ein. Ich freue mich, wir haben es überstanden. Eigentlich kenne ich es ja. Kaum sind Kinder nach zwei Wochen Weihnachtsferien wieder im Kindergarten, geht irgendeine Seuche rum, die anständig mit nach Hause gebracht wird. (Nicht, dass uns was entgeht.) Egal. Ich bin happy, der Alltag geht weiter. Alles ist gut. Bis ich merke, dass es mir täglich schlechter geht. Ach so, ja. Da war ja noch der Fakt, dass ich in der Regel nicht verschont bleibe von den Viren meines Kindes. Dann musst du dich eben auch mal fern halten und nicht immer das kranke Kind abknutschen, wirft mir mein Mann verärgert vor. Der ist sichtlich genervt davon, dass ich es wohl nie lernen werde. Von Kranken hält man Abstand, wissen wir doch spätestens seit Corona. Ganz unter uns, ihr liebenden Mütter: Wir wissen aber auch, dass kranke Kinder besonders viel Nähe und Zuwendung brauchen. Dafür nehmen wir dann eben ein paar Viren und Bazillen in Kauf. Nicht wahr?
Also habe ich den bitteren Virus geschluckt. Oder die Mandelentzündung. Denn plötzlich habe ich sie auch. Ich schaffe das nebenbei, denke ich zuversichtlich. Oder die Realität verdrängend. Tatsache ist, ich fühle mich hundeelend. Ich bin appetitlos, kraftlos und schlaflos. Ich melde mich krank, döse vormittags vor mich hin, werfe am Nachmittag Ibus ein, damit das Fieber runter geht und ich mich um die täglichen Pflichten kümmern kann. Irgendwie. Geht schon. Mütter sagen immer, es geht schon. Was auch sonst? Es muss ja gehen. Kinder sind kleine Egoisten. Sie haben noch diesen gesunden angeborenen Egoismus in sich, der sie dazu veranlasst, Dinge zu tun, die gut für SIE sind, nicht für andere. Mein Kind will seine spielende fröhliche Mama am Nachmittag, die sich kümmert, mit baut, mit bastelt, mit malt, die mit zum Spielplatz geht, die ein Abendessen macht und das Zimmer sauber macht und mit aufräumt, die vorliest und Geschichten erzählt und einfach immer da ist. Gegen Ende der Woche merke ich, dass nichts mehr geht bei mir. Die Ibus helfen kaum noch, ich habe Schüttelfrost, ich habe Schmerzen und ich will meine Ruhe. Die Ärztin rät mir: Ruhen Sie sich aus und schlafen Sie viel. Als ich ihr das Alter meines Kindes sage, verzieht sie den Mund mitleidig. Ja, sie weiß, wie es ist. Alle Mütter wissen, wie es ist. It is, what it is.
Am Wochenende schaffe ich es nicht, aufzustehen. Mein Kopf soll wollen, weil ich wollen muss. Wie bringe ich das Wochenende jetzt so rum? Meine Gelenke sind schwer, ich liege schwitzend im Bett, im Hirn ist Pudding, jedes Geräusch ist wie ein Stromschlag. Mein schwacher Körper ist ein einziger Schmerzklumpen. Ich sitze am Frühstückstisch und kriege keinen Bissen runter. Ich will gar nicht wissen, wie ich aussehe. Davon abgesehen, es ist mir auch scheißegal. Ich schleiche mich ins Bett zurück, will nur mal kurz noch etwas liegen. An diesem Tag stehe ich nicht mehr auf, nicht mal mehr um aufs Klo zu gehen. Ein paar Mal schauen mein Mann und mein Kind nach mir, fragen, wie es mir geht, ob ich was essen oder trinken will. Beide kümmern sich ganz rührend um sich selbst. Tatsächlich verblüfft mich diese Tatsache. Es geht auch ohne mich.
Wir unersetzlichen Mütter denken, ohne uns läuft nichts. Falsch! Unsere Kinder atmen auch ohne uns, sie spielen auch ohne uns, sie essen auch ohne uns. Sie finden es vielleicht nicht so toll wie mit uns, sie langweilen sich vielleicht mehr, mitunter sind sie auch traurig. Aber sie schaffen das alles auch ohne Mama. Irgendwie. Die Welt steht nicht still, wenn wir krank sind. Für mich ist diese Erkenntnis ein Segen. Am nächsten Tag fühle ich mich etwas besser. Neue Schmerzmittel geben Auftrieb. Noch eine ganze Woche lang ruhe ich mich aus. Trotzdem erledige ich das Wichtigste im Haushalt und bin da für mein Kind. Wie Mütter das so tun. Ich sitze neben ihm im Kinderzimmer, auch wenn meine Augen schwer sind und ich mit Ohrenschmerzen kämpfe. Aber die eine Spielstunde am Nachmittag halte ich durch.
Ich fürchte die nächste Erkrankung jetzt schon sehr. Früher war ich kaum krank. Früher, als ich noch kinderlos war. Und wenn ich krank war, lag ich auf meiner Couch und habe fern gesehen, geschlafen, gelesen oder nur nachgedacht. Als Mutter sind Erkrankungen für mich die Hölle. Nicht, weil es nicht ohne mich gehen würde. Sie sind die Hölle, weil ich mir selber diesen Druck auferlegt habe, funktionieren zu müssen. Ich höre das so oft von Müttern. Du musst funktionieren! Muss ich das? Wo steht das eigentlich? Wer hat das bestimmt? Und wenn ja, gilt das für alle Zeit? Wieso müssen Mütter immer nur müssen? Ich habe keine Antworten auf meine wiederkehrenden Fragen. Jedenfalls weiß ich aber, dass die Welt sich auch weiter dreht, wenn ich mal nicht dabei bin. Auch die Welt meines geliebten Einzelkindes, das mitunter ganz gut allein zurecht kommt.
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