Als mein geliebtes Einzelkind noch ein Baby und Kleinkind war, konnte ich selbst entscheiden, mit wem wir uns treffen, welche Kontakte wir zu anderen Kindern haben, wie oft, wann, wo und überhaupt. Weil mein Kind kurz vor Ausbruch von Corona geboren wurde, blieben uns Babyschwimmkurse, Krabbel- oder Spielgruppen und spontane Begegnungen am Spielplatz verwehrt. Alles fand nicht mehr statt und Distanz war geboten. So igelte ich mich mit meiner kleinen Familie ein, bis ich entschied, dass Homeoffice und Kleinkind dauerhaft eine Zumutung für alle sind. Mein Einzelkind ging mit 30 Monaten (endlich) in die Krippe. Damit eröffnete sich für ihn eine neue Welt, nämlich die der anderen Spielgefährten. Ich freute mich für ihn.
Dann kam der Kindergarten. Und irgendwann, ohne dass ich es forciert hätte, kam die Frage danach, ob nicht einer seiner Freunde ihn mal besuchen kommen kann. Oder umgedreht. Spätestens jetzt war es mein Kind, das entschied, mit wem es spielen wollte und mit wem nicht. Für mich als eine Person, die eher zurückhaltend ist, bedeutete das vor allem, mich zu überwinden. Bevor nämlich mein Kind mit einem Freund außerhalb des Kindergartens spielen kann, muss der Kontakt zur anderen Mutter hergestellt werden. Es müssen sogenannte „Playdates“ verabredet werden. Sicherlich ist das für viele Mütter eine tolle Art der Freizeitbeschäftigung: Die Kinder schreien, toben, spielen und streiten, während die Mütter gemütlich über den Alltag mit Kind(ern) plaudern. So vergehen die Nachmittage schnell, ohne dass man als Mama wirklich aktiv sein muss. Zumindest nicht als Spielgefährtin.
Nun, ich bin eine erwachsene Frau, die immer gern selbst bestimmt hat, mit wem sie ihre Zeit verbringt, mit wem sie über ihr Leben, ihren Alltag, ihre Probleme und ihre Wünsche spricht. Mein Einzelkind zwingt mich nun mehr oder weniger dazu, nicht mehr selbstbestimmt diese Strategie zu fahren. Jetzt muss ich irgendwie dieses Ding mit den Playdates durchziehen. Wieder so etwas, von dem ich in meinem früheren Leben nie gehört hatte. Playdate! Ich hatte gern früher Dates. Oh ja. Es war aufregend, sich mit Menschen zu treffen, die ich interessant und anziehend fand. Ich habe es genossen. Bei Playdates geht es eher darum, einen passenden kindertauglichen Ort zu finden, an dem sich die Schreizwerge nach Herzenslust austoben können, während die Mütter (oder mitunter auch die Väter) in der Nähe befinden und die Zeit mit Kinderthemen verplappern.
Das Gute an diesen Playdates ist, dass ich mich oft verstanden fühle. Die anderen Mütter haben ähnliche Herausforderungen mit ihrem Kind zu meistern, sind genauso gestresst und haben Verständnis, wenn man mal über das eigene Kind schimpft oder über den Partner oder über die teuren Preise überall, über die scheinbar verständnislosen Erzieher oder Lehrer, die ausgebuchten Kinderärzte, die täglichen Wäscheberge, die Trotzphasen, die nervigen Großeltern, die immer alles viel besser wissen… blablabla. Ein Playdate ist allerdings nicht dazu geeignet, um tiefgründige Gespräche führen zu können. Und genau deshalb sind sie für mich eine echte Herausforderung. Na klar genieße ich es, einfach dazusitzen und mein Kind mit anderen Kindern spielen zu lassen. Esst eine gewisse Art von Freiheit. Ich kann meinen Kaffee in Ruhe trinken und einfach so rumsitzen. Easy going.
Trotzdem möchte ich Playdates nicht zur Hauptaktivität meiner Freizeit machen. Weil sie mich auch nerven, ganz ehrlich. Mütter neigen dazu, sich in Kinderthemen zu verlieren. Plötzlich saß ich an einem spätsommerlichen Tag in einem Kreis von tollen, inspirierenden Frauen, die sich die ganze Zeit über Mottopartys unterhielten. Sie googelten nach witzigen Accessoires für Kindergeburtstage und übertrafen sich gegenseitig mit ihren Ideen für die beste Feier ihrer Kinder. Ich merkte, wie ich ruhiger wurde und mich aus dem Gespräch ausklinkte. Es interessierte mich in dem Moment einfach nicht! Weil ich jeden verdammten Tag meines Lebens damit verbringe, über irgendwas zu googeln, das mein Kind betrifft. Entweder geht es um Kinderkrankheiten, um Kinderklamotten, um Kindererziehung, um Kinderaktivitäten, um Kindergeschenke oder um nervige Kindergeburtstage. Ich will meinem Kind auch immer das Beste ermöglichen, ja, na klar. Aber warum muss ich das jetzt mit anderen Müttern nochmal bis zum Erbrechen durchkauen? Warum können Mütter nicht einfach mal wieder die Frauen sein, die sie vor dem ganzen Mama-Dasein waren? Früher sprach ich mit Frauen über Kosmetik, Bücher, Filme, Reisen und Männer. Aber nicht über Väter, sondern über Männer. Sex. Und all das. Nun sind alle diese spannenden Themen gewichen für das eine Überdimensionale. KINDER.
Ich beschließe für mich, dass Playdates vollkommen überbewertet sind. Sie bringen mich nicht weiter, sie geben mir eigentlich auch keinen Input, sie langweilen mich sogar. Denn selbst, wenn zwischen den ganzen Kinderkramsachen ein anderes Thema angeschnitten wird, dann kommt eins der Kinder angerannt und teilt seine für Kinder typischen Befindlichkeiten mit, um die sich nun unbedingt sofort an Ort und Stelle gekümmert werden muss. Mama, ich muss mal. Mama, ich will da hoch klettern. Mama, ich hab Hunger. Mama, ich bin hingefallen. Mama, der Junge hat mich geschubst. Mama!!! Und wenn dann das Problem gelöst wurde, Mama wieder für innerlichen Frieden gesorgt hat, dann ist das Gespräch schon gelaufen. Wo waren wir nochmal stehengeblieben? Egal. Denn im gleichen Atemzug folgt ein abrupter Themenwechsel und es geht wieder um das Übliche. Kinderkacke! Ich bin müde davon.
Nach jedem Playdate bin ich innerlich leer. Das heißt aber nicht, dass für mich der Feierabend eingeläutet ist, weil mein Kind sich spielerisch mit anderen austoben konnte. Ganz im Gegenteil, nun muss ich erst recht Gas geben. Denn nachdem mein Kleiner sich mit Gleichaltrigen auspowern durfte, hat er wieder Zeit für mich. Wie ist das schön, wenn ich nun wieder mit spielen darf (oder muss). Ich frage mich, ob der Hype um Playdates wirklich gerechtfertigt ist? Wäre es nicht besser für mich, ich würde eine Mutter finden, die gleichzeitig menschlich zu mir passt und eine gute Freundin werden kann? Playdates sind oft oberflächlich und haben eigentlich nur ein Ziel: Kaffeeklatsch und Kinderbeschäftigung zur selben Zeit.
Vielleicht sehen das auch andere Mütter so und haben sich deswegen entschieden, ihre Kinder abwechselnd bei anderen Müttern abzugeben? Das fröhliche Kinderhopping ist eine nette Gelegenheit, sich ein bisschen Zeit für Erledigungen oder sonstige Verpflichtungen freizuschaufeln. Und für die Mama, die die Kinder dann bei sich daheim hat, kann es doch auch ganz nützlich sein, wenn die Kinder sich beschäftigen und sie mal raus aus der Spielnummer ist. Denkt man. Ist aber nie so. Denn es ist einfach nichts so, wie man vorher denkt. Kinder sind unberechenbar. Von einem Moment auf den nächsten werden sie zu Schreihälsen mit garstigen Blicken und boxenden Fäusten. Oder sie wollen einfach nicht, eben WEIL. Dann kann es auch passieren, dass die zwei spielenden Kinder sich bis aufs Blut streiten und man sich als Mutter fragt: Warum habe ich mich darauf eingelassen? Weil die Vorstellungen allzu schön waren und die Realität nie, niemals einer Vorstellung entspricht.
Ich habe bisher mein Kind noch nicht von einer anderen Mutter abholen lassen. Ich schaffe das ganz gut allein. Und ich halte nichts davon, Kinder regelmäßig irgendwo unterzubringen. Aber bestimmt erleichtert diese Art der geteilten Kinderbetreuung vielen Frauen den vollgepackten Alltag. Ich kann es verstehen. Trotzdem werde ich es weiter so handhaben wie bisher. Ich gebe die spielende Mama für mein Kind. Die kurzen Nachmittage nach dem Kindergarten gestalte ich so, dass ich genug Zeit habe, wenigstens eine oder auch zwei Stunden ausgiebig zu spielen. Bis zum Abendessen. So viel Zeit muss sein. Aktives Spielen kann anstrengender als ein ganzer Arbeitstag sein. Es erfordert meine ganze Aufmerksamkeit. Es ist schwer, in der Geschwindigkeit zu spielen, wie Kinder es tun. Manchmal verharren sie, manchmal schwenken sie permanent um. Nicht selten bekomme ich dabei Kopfschmerzen oder das Gefühl, meine Zeit zu verschwenden. Hallo, ich bin eine erwachsene Frau! Ich könnte in dieser Zeit ein gutes Buch lesen, ausgiebig telefonieren mit einer Freundin, irgendwas im Haushalt machen, mich mit meinem Mann unterhalten oder mit ihm fernsehen wie früher. Und so weiter. Ich könnte hundert andere Dinge tun. Aber wie lange ist mein Kind so alt, dass es mit mir, seiner Mutter, spielen will? Diese Zeit kommt nie wieder. Bald schon wird er (vermutlich) größer sein als ich und ich werde mich wehmütig danach zurück sehen, wie ich im Kinderzimmer sitze und Häuser für kleine Figuren baue, Steinlabyrinthe kreiere, Superhelden aus Knete forme oder Schleichtiere miteinander kämpfen lasse.
Kurz vor der Geburt war ich bei einer Verwandten zu Besuch, die ein halbes Jahr vor mir ihr erstes Kind bekommen hat. Ich vergesse nie die Szene, wie sie ihre Tochter mit einer beneidenswerten Gelassenheit auf den Schoß nimmt und "Hoppe Hoppe Reiter" mit ihr singt und spielt. Kurzzeitig bekam ich Panik, denn ich hatte nicht das Gefühl, dass ich sowas jemals selbst machen könnte. Ich fragte mich, wie kann ich je eine gute Mutter sein, wenn ich mir nicht mal das Hoppe Hoppe Reiter-Spiel zutraue? Fünf Jahre später lache ich über mein damaliges unsicheres Selbst. Spielen ist für mich eine Leichtigkeit. Ich kann das mit meinem Kind inzwischen überall. Wir brauchen gar nicht viel dafür, oft reicht auch unsere grenzenlose Fantasie und wir tun so, als wären wir Hulk, Spiderman, Ninja Kai, Super Mario, Grüffelo oder irgendeine imaginäre Figur, die gerade hoch im Kurs bei meinem Sohn steht. Spielen bedeutet miteinander zu kommunizieren, zu teilen, zu erleben. Und ich denke, ich mache es gut.
Ich beobachte oft, wie Eltern sich um das intensive Spielen mit ihrem Kind drücken. Sie geben vor, etwas Wichtigeres zu tun zu haben. Sie suchen sich Erwachsene mit Kindern, um Playdates auszumachen. Sie geben ihre Kinder bei anderen ab, weil sie zum Arzt müssen, auf eine Behörde, zur Autowerkstatt, zum Supermarkt oder es einfach zeitlich nicht schaffen. Ja, das ist alles verständlich. Wir wollen unsere Erwachsenen-Bedürfnisse auch gern befriedigen. Was ich aber noch viel mehr will, ist, dass ich in ein paar Jahren zurück blicken und sagen kann: Ich habe alles gespielt, was es zu spielen gab. Ich habe nichts verpasst. Ich war da. Jeden Tag. Ich saß nicht nur daneben. Ich war dabei. Ich war Teil von der Kindheit meines Kindes. Nicht nur Ernährerin, Versorgerin, Kümmerin. Ich war die Mama, die mitgespielt hat.

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