Als Mutter komme ich immer wieder an meine Grenzen, von deren Existenz ich vorher nichts wusste. Das habe ich akzeptiert. Ich bin mit Leib und Seele an sieben Tagen in der Woche Mutter. Ich tröste, ich umarme, ich schenke, ich höre zu, ich koche, ich putze, ich wasche, ich arbeite, ich spiele und turne mit, ich sorge mich, ich bastel, ich male, ich übe geduldig sein, ich harre aus, ich habe Verständnis, ich nehme mich zurück, ich verzichte, ich leide, ich liebe. Und zwischen all dem Tun schleicht sich hin und wieder die Überlegung in meinen Kopf: Wie wäre es ohne Kind? Wie wäre ICH heute ohne Kind? Wie wäre mein Leben verlaufen? Wo wäre ich jetzt? Wäre ich glücklicher, einsamer oder gelassener? Wäre ich egoistischer, zufriedener oder wohlhabender? Darf ich diese Gedanken überhaupt denken? Denn ganz ehrlich, eine Mama ist doch auch ein Mensch mit Bedürfnissen, Wünschen, Vorstellungen, Sehnsüchten, Träumen, Zielen.
Wenn ich es realistisch betrachte, ganz nüchtern, absolut ehrlich mir selbst gegenüber, dann kann ich ohne schlechtes Gewissen sagen: Viele meiner Wünsche sind noch offen, einige Träume sind nur zum Träumen da, Bedürfnisse und Sehnsüchte werden verdrängt oder hintenan gestellt, Vorstellungen weichen der Realität, Ziele habe ich nicht alle erreicht und werde ich nicht alle erreichen. Und wenn ich das so festhalte, dann ist die konsequente Frage darauf: Bereue ich meine Mutterschaft? Nein, ich bereue sie nicht. Aber hätte ich vor der Schwangerschaft gewusst, wie es wirklich ist (ganz in echt und so richtig wahrhaftig) für ein Kind zu sorgen und da zu sein, es zu erziehen und zu beschützen, und diese wahnsinnig große Verantwortung zu übernehmen, ich hätte mich nie getraut.
Mütter zweifeln niemals an der Liebe zu ihren Kindern. Sie zweifeln an sich und den Umständen, an ihrem Lebensmodell und ihrer Entscheidung, an der Last, die sie tragen müssen und die manchmal so erdrückend schwer ist, dass kaum Luft zum Atmen bleibt, an der Gesellschaft und ihren Vorgaben, an den Erwartungen anderer und an den eigenen übermenschlichen Erwartungen. Ich liebe mein Kind so sehr, dass ich mein Leben ohne zu zögern für seines opfern würde. Ich liebe es so sehr, dass ich es mit jedem Lebensjahr ein Stückchen mehr loslasse, damit es seinen Weg selbstständig gehen kann (obwohl es mir das Herz zerreißt, mein Baby wieder zu verlieren). Ich liebe mein Kind so sehr, dass ich es nehme, wie es ist, mit allen Wutanfällen und unberechenbaren Emotionen. Ich liebe aufopferungsvoll und hingebungsvoll. Komisch, dass Mütter das immer betonen, bevor sie ehrlich über Reue reden.
Vielleicht ist Reue auch das falsche Wort. Ein Kind macht einfach unfrei. Ich fühle mich eingeschränkt in meinem Leben. Nicht immer. Aber mitunter. Freiheit ist das wichtigste Gut auf dieser Welt in einem Menschenleben. Was gibt es Wertvolleres, als über sich selbst bestimmen zu können? Freiheit ist etwas, wofür der Mensch Jahrhunderte lang gekämpft hat, wofür er heute noch kämpft. Das erste Mal, als ich diese Unfreiheit spürte, war mein Kind ein paar Tage alt. Ich sah zum Fenster hinaus, beobachtete Menschen, die ihre Wohnungen verließen, wann und wie sie wollten, während ich selbst, mit meinem Kind auf dem Arm, „gefangen“ war. Ich begriff in dem Moment, dass ich nie wieder ohne weiteres einfach so die Tür hinter mir zuschlagen konnte. Dieser Gedanke war beklemmend. Zwei Jahre später kam der Tag, an dem mein Sohn das erste Mal eine Stunde allein, ohne mich, in der Krippe blieb. Plötzlich hatte ich einen winzigen Bruchteil meiner Freiheit wiedergewonnen. Es fühlte sich an, als wäre ein Teil meines Ichs (das Ich, das keine Mutter war) wieder aufgewacht war. Es war ein unvergesslicher Moment für mich. So unvergesslich wie der erste Blickkontakt mit meinem Sohn, als er frisch geboren auf meinem Bauch lag und mich ansah wie ein Würmchen mit zwei großen Kulleraugen.
Inzwischen stört es mich nicht mehr, dass ich gewisse Dinge nicht mehr tun kann. Selbst mit viel Organisation und Unterstützung von Familie ist nicht alles möglich. Um ehrlich zu sein, es ist weniger möglich als je zuvor. Und für jede freie erkämpfte Stunde Ich-Zeit muss ich am Ende doppelt so viel für mein Kind da sein. Als Frau ohne Kind habe ich mir vieles schön ausgemalt, wie es sein würde mit Kind. Weniges habe ich tatsächlich gewusst über Kinder. Trotzdem ist Muttersein eine wunderbare Lebenserfahrung, die mich reifer, verständnisvoller, selbstloser, toleranter, großzügiger, ruhiger, besonnener, jünger und gleichzeitig auch älter hat werden lassen. An manchen Tagen wünschte ich nur, ich wäre freier. Dieser Wunsch hat seine Berechtigung. Er darf da sein.
Also, was bleibt nun für mich als Mutter, als Mensch? Ein Mensch, der sich immer im Zwiespalt befindet, vierundzwanzig sieben. Immer wieder quälen mich die Fragen: Tue ich genug? Mache ich es richtig? Ist mein Kind glücklich? Wenn ich meinen kleinen Sohn dann frage, schaut er mich mit den großen Kulleraugen an und sagt: Ja, Mama. Ohne den Hauch von Zweifel. Warum zweifle ich aber denn? Sagt er es nur, damit ich Ruhe gebe und weiter mit ihm Transformers spiele? Nein, ich denke nicht. Kinder kennen die Bedeutung von Glücklichsein nicht. Sie sind einfach da, und sind. Wir Mütter hingegen hinterfragen ständig jede Regung, jeden Blick, jedes Wort unserer Kinder. Wir zermürben uns das Muttersein mit der zeitraubenden Frage, ob unsere Kinder glücklich sind. Glück ist… Sternenstaub. Glück ist ein Hauch im Wind. Glück ist etwas von Erwachsenen Konstruiertes, das uns nicht glücklich macht. Es gibt nichts Bedeutsameres für mich als mein Kind. Alles macht jetzt erst Sinn.
Liebe Mütter, besinnen wir uns. Alles ist gut. Trotz der Unfreiheit. Alles Gute zum Muttertag, für uns, die wir immer bereit stehen.

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