In meinem Leben vor dem Muttersein erzählte mir eine Kollegin, dass bei ihrer Tochter in der Kita gerade Läuse im Umlauf sind. Ich hörte ihr angewidert und belustigt zu. Irgendwie tat sie mir leid, weil sie stundenlang hatte waschen müssen. Wer braucht denn sowas, dachte ich und war froh, dass ich mit sowas nichts zu tun hatte. Nun, Zeiten ändern sich ja bekanntlich. Aus Mädchen werden Frauen, aus Frauen werden Mütter. Und zum Muttersein gehört wahrscheinlich auch zwangsläufig die Erfahrung, sich mit dem heiklen Thema „Läuse“ intensiver auseinandersetzen zu müssen. Wieder so etwas, dass einem niemand verrät, wenn man sich ein Kind wünscht.
Ich erinnere mich jedenfalls nicht, dass irgendeine Frau jemals unmittelbar zu mir gesagt hätte: Kinder schleppen dir Läuse ins Haus, sei dir dessen bewusst. Dafür erinnere ich mich noch sehr genau daran, wie ich als Mädchen eines Tages heim kam und meine Mutter mich erst zum Hautarzt und danach zum Friseur brachte. Die Haare müssen ab. Du hast Läuse. Traurig blickte ich meinen langen Haarzopf an, den man mir skrupellos abgeschnitten hatte. Es ging alles so schnell und ich fragte mich, ob diese ominösen Läuse, die scheinbar in meinem Haar herumkrabbelten, von einem Baum auf meinen Kopf gesprungen waren. Ich konnte es mir damals nicht erklären.
Fünfunddreißig Jahre später stand ich wieder ratlos da, als ich den in Großbuchstaben geschriebenen Satz an der Eingangstür des Kindergartens las: WIR HABEN LÄUSE. Da war er also, der Tag, den ich befürchtet, aber nie erwartet hatte. Sprachlos und leicht schockiert schaute ich auf andere Mütter, die bereits hektisch und aufgeregt mit den Händen in den Haaren ihrer Kinder herumwuselten. Am Gartentor hatte mich mein Kind noch verwundert gefragt, warum ein Mädchen mit seiner Mama wieder geht. Jetzt war es mir klar. Sie floh vor den Läusen. Und ich? Was muss eine Mutter in so einer Situation denn tun? Ich hatte nicht die geringste Ahnung, blieb aber meinem Kind zuliebe erstmal ruhig und ging rein. In das Läusenest.
Zugegeben, ein leichtes Schütteln überkam mich. Und mehrere Fragen schossen durch mein überfordertes Hirn. Springen die? Muss ich meinem Sohn heute die Haare abrasieren? Was ist mit den Klamotten, muss ich die alle verbrennen? Was mache ich jetzt mit meinen beruflichen Terminen, die heute anstehen? Krabbeln diese Läuse schon bei uns zu Hause rum? Wie lange geht der Läusezirkus jetzt? Gibt es nicht Shampoos dagegen? Sitzen welche bei meinem Kind auf dem Kopf? Ja, ich war minimal am Durchdrehen und maximal gestresst. Wie so oft, wenn uns Kinderkrankheiten oder andere Phasen des kindlichen Wachstums überrannten.
Die Erzieherinnen klärten bemüht gelassen auf, was zu tun sei. Zettel mit Anleitungen zum Behandeln hingen schon aus. Ich überflog sie ganz kurz. Zu viel Information für den frühen Morgen, der eigentlich ganz anders geplant war. Ganz kurz sprach ich mit einer Erzieherin, was zu beachten ist. Mützen und Schals in alle Jacken rein, lange Haare zusammenbinden, Tiere am Kopf mit einem Nissenkamm, wenn nötig, auskämmen. Überall an mir juckte es. Ja, das Kopfkino spielte verrückt. Und ich ging wieder heim, sagte alle Termin ab und fing an zu waschen. Eine Waschladung nach der nächsten. Gleichzeitig fing ich an, die ganze Wohnung zu putzen.
Sechs Waschmaschinengänge und etliche Stunden Schlau-Googeln später empfand ich mein Zuhause wieder als rein. Ein paar Tage später, als der Läusealarm vorbei war, schmunzelte ich über meinen Übereifer. Denn dieses wilde Schrubben, Desinfizieren und Waschen hätte es nicht gebraucht. Nicht, weil mein Sohn vom Läusebefall verschont blieb, sondern weil man als Mama gern völlig grundlos überreagiert und der Aufwand im Grunde umsonst war. Läuse laufen nicht in der Wohnung auf und ab. Sie springen auch nicht durch die Gegend und klammern sich an Türklinken fest. Und ganz und gar nicht überfallen sie die Wohnung, nur weil mal ein paar Tage kein Staub gewischt oder das Bad nicht blitzeblank gereinigt wurde.
Läuse gab und gibt es schon immer. Selbst bei den alten reinlichen Ägyptern existierten sie bereits. Die Mär, Läuse haben vor allem Menschen in dreckig lebenden Haushalten, geistert trotzdem noch herum. Wir hatten sowas nie, bekam ich oft zu hören. Ich lies diesen überflüssigen Satz kommentarlos im Raum stehen.
Heutzutage braucht es keinen radikalen Kurzhaarschnitt, wenn ein Kind Läuse mit heim bringt. Getragene Klamotten müssen auch nicht verbrannt werden. Es genügt, alles einmal zu waschen, was sowieso schon schmutzig war. Kuscheltiere und Kissen können problemlos in einen Plastiksack gestopft und über Nacht raus gestellt werden. Läuse sterben einfach, wenn sie keine Nahrung mehr haben, ihre Nahrung ist menschliches Blut. Ein Läuseabwehrspray lohnt sich, wenn man denn das eigene Gefühl des Ekels nicht anders überwinden kann. Mir tat es unglaublich leid, morgens nach dem Aufstehen meinem Kind den ganzen Kopf mit einer stinkenden Chemieflüssigkeit einsprühen zu müssen. Die Haare ließen sich zwar eine Stunde später super gut stylen, aber der Geruch war brachial und anhaltend. Ich weiß nicht, ob ich das nochmal anwenden möchte, sollten uns Läuse in unserem Leben nochmal über den Weg laufen.
Bei alle dem Putz- und Krabbelchaos beruhigte mich der Gedanke, dass ich nur ein Kind hatte. Mit hellen kurzen Haaren. Was tun die Mütter, die zwei Mädchen mit dunklen, langen und dicken Haaren haben? Ich wollte nicht in ihrer Haut stecken und war froh, dass ich es vermeintlich leichter hatte. Als ich meinen Sohn am zweiten Tag der „Läusewoche“ in den Kindergarten brachte, schaute er mich verwirrt an und fragte: Aber Mama, ich sehe gar keine Mäuse. Schön, wenn Kinder es schaffen, in den widerlichsten Situationen einen zum Schmunzeln zu bringen.
Ein paar aufregende Tage und Nächte später, stellte ich nüchtern fest: Im Grunde ist Läusealarm viel Lärm um nichts. Die kleinen Tierchen sind lästig, aber nicht unbesiegbar. Ich hätte gern auf diese Erfahrung verzichtet. Aber sie gehört wohl einfach dazu, zum Alltag einer Mutter. So wie vollgepinkelte Hosen bei Ausflügen, empathieloses Kindergeschrei, wenn ich krank bin, Kinderkotzen im Strahl bei einer Magen-Darm-Infektion oder umkalkulierbare Wutanfälle beim Brettspiel. Ja, so ist das Leben mit einem (Einzel-) Kind. Immer herausfordernd, immer unberechenbar, und niemals so, wie ich dachte, dass es ist.

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